Warum alles in Bewegung ist – und auch bleiben sollte

Auszug aus dem Buch „Werden? Ich bin doch schon!“

„Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung“ – diesen über zweitausend Jahre alten Satz von Heraklit machen wir uns an der NSH immer wieder bewusst und heißen ihn in unseren täglichen Debatten willkommen.

So sehr wir, die Erwachsenen, uns Beständigkeit und Vollendung in manchen Bereichen der NSH wünschen, so klar ist uns zugleich, dass dieser Wunsch oft dann entsteht, wenn wir auf Ergebnisse ausgerichtet sind statt auf Prozesse. Aus unserer Prämisse, dass Menschen neugierig sind und aus sich selbst heraus die Welt erforschen wollen, folgt aber geradezu, diese individuellen Prozesse zu achten und sich bewusst zu machen, dass sie Raum brauchen, um durchlebt werden zu können. Gerade in Bezug auf Lernen, dessen Ermöglichung natürlich auch die NSH für ihre zentrale, übergeordnete Aufgabe hält, kann es nur um Prozesse gehen. Lernen als eine Mischung aus Wahrnehmung, Erfahrung und Erkenntnis ist eben immer eine Entwicklung, ein Prozess. Gleichzeitig benötigt der Betrieb einer Schule aber an vielen Stellen auch Konstanten und erfordert oft Ergebnisse.

An der NSH übernimmt die Schulgemeinschaft auf demokratische Weise die Verantwortung für den Betrieb und führt die latent gegenläufigen Ansprüche Veränderung und Beständigkeit sowie individuelle Bedürfnisse und gemeinschaftliches Zusammenleben gleichberechtigt zusammen. Durch die täglichen Anforderungen in der Selbstverwaltung der Schule entstehen reale Aufgaben und Probleme, die gelöst werden können und manchmal sogar gelöst werden müssen. Hier liegt einer der großen Unterschiede zur Regelschule: Wo dort Verwaltung und reale Probleme ausschließlich von Erwachsenen bearbeitet werden und Schüler sich an ausgedachten Problemen und konstruierten Aufgaben abarbeiten sollen, nutzen wir die tägliche Verwaltung unserer Schule als authentisches Arbeitsfeld, das unzählige Lernanlässe bietet. Effizienz und Ergebnisse sind dabei keineswegs ausgeschlossen und in einigen Fällen auch durchaus erforderlich – über den Wasserrohrbruch sollte man nicht allzu lange diskutieren. Grundsätzlich orientieren wir uns aber stärker an Prozessen als an Ergebnissen. Diese Beweglichkeit entspricht dem Konzept unserer Schule, nämlich ein Ort des individuellen und gleichzeitig gemeinsamen Lebens und Lernens zu sein.

Einen »Fehler« oder Umweg, den die Schule zum wiederholten, Einzelne aber zum ersten Mal machen, verstehen wir als gewolltes Lernfeld für persönliches Wachstum. Wichtig ist uns in diesem Zusammenhang jedoch, darauf zu achten, dass wir Erwachsenen Prozesse nicht künstlich am Leben halten oder zielgerichtet initiieren. Wir verlassen uns auf das echte Leben, das ausreichend Anregungen und Fragen mit sich bringt! In Diskussionen halten wir uns deshalb niemals zurück, sondern vertreten unsere Standpunkte mit allen Argumenten, die wir durch unsere persönlichen Erfahrungen vorbringen können. Wenn trotz guter Begründungen die Mehrheit aber andere Argumente für überzeugender hält, respektiert jeder die demokratisch getroffene Entscheidung und lässt sich auf den neuen Erfahrungsraum ein. Immer wieder sind wir überrascht, wie weise die Entscheidungen der Mehrheit am Ende sein können. Und die weniger weisen Entscheidungen werden eben nach drei Wochen Erprobungspraxis per erneutem Antrag nochmals geprüft, angepasst und wiederum zur Abstimmung gestellt. Unsere Gremien bilden einen verlässlichen Rahmen für alle Akteure der Schule. Die transparente demokratische Organisation hilft uns dabei, die Flexibilität für Veränderungen zu bewahren, die durch Anforderungen von außen oder interne Impulse notwendig werden. Dabei balancieren sich Beständigkeit und Bewegung im Schulalltag immer wieder aufs Neue aus.

Die Verwaltung der Schule umfasst eine Vielzahl verschiedener Bereiche. Die meisten davon entstehen aufgrund der Anforderungen, die das gemeinsame Zusammenleben an die Schulgemeinschaft stellt. Sie werden organisiert, indem Gremien oder Teams Verantwortung für einzelne Bereiche übernehmen. Alle Gremien und Teams dokumentieren ihre Treffen in Form von Protokollen, die an den jeweiligen Teamräumen aushängen oder in den Team- ordnern eingesehen werden können. So sind die Prozesse immer transparent und jeder kann sich einfach informieren und gegebenenfalls Veränderungen herbeiführen.

Ein klassisches Beispiel für das ständige Ausbalancieren von Bewegung und Beständigkeit ist das Aufräumen und Reinigen des Gebäudes, das seit der Eröffnung der Schule ein Thema ist und bereits mit den unterschiedlichsten Vorschlägen angegangen wurde. Eine der ersten Varianten bestand darin, dass jeder Schüler sich täglich einen Raum suchen sollte, bei dessen Reinigung er während der dafür vorgesehenen halben Stunde mithalf. Das Resultat war ziemlich unzufriedenstellend, zumindest aus Perspektive der Erwachsenen. Es führte dazu, dass die Mitarbeiter nach Schulschluss das Gröbste nacharbeiteten und die Eltern alle zwei Wochen einen Putz-Samstag einlegten. Nach einigen Monaten war klar, dass dies keine dauerhafte Lösung sein konnte.

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