Begegnung auf Augenhöhe – das Lösungskomitee aus Sicht einer Mitarbeiterin

Auszug aus dem Buch „Werden? Ich bin doch schon!“

Wenn einzelne Mitglieder der Schulgemeinschaft bestehende Regeln brechen beziehungsweise missachten, wenn jemand sich nicht an gemeinsam getroffene Absprachen hält oder wenn zwischenmenschliche Konflikte auftreten, die einer Art Mediation bedürfen, wird von den Betroffenen ein Antrag an das Lösungskomitee gestellt. Dieses Gremium besteht aus per Wahl bestimmten Schülern und Mitarbeitern der Schulgemeinschaft und es eröffnet den Antragsstellern einen Raum, in dem die jeweils problematischen Verhaltensweisen sichtbar, thematisierbar und damit veränderbar werden. Es gewährleistet für jedes vorgeladene Mitglied der Schulgemeinschaft ein gerechtes Verfahren, welches sich im rechtsstaatlichen Verständnis am ehesten mit einer Gerichtsverhandlung vergleichen lässt. Wenn man eine »Vorladung« vom LK bekommt, muss man zu dieser auch erscheinen, um die Angelegenheit klären zu können.

An einer Schule, an der es mehr als hundertfünfzig Regeln gibt, an der jeden Tag verschiedene Absprachen untereinander getroffen werden und an der es immer wieder zu zwischenmenschlichen Konflikten kommt, passiert es zwangsläufig, dass mit jedem irgendwann einmal ein »LK«, wie die Vorladungen vor das Lösungskomitee schulintern genannt werden, geschrieben wird. Auch die Erwachsenen bleiben davor nicht verschont und ich persönlich freue mich über jede Vorladung, da eines sicher ist: In dem geschützten Raum des Lösungskomitees werde ich in der Begegnung mit den Antragsstellern bestimmt wieder etwas über mich, mein Gegenüber und den Umgang miteinander lernen.

Regelbruch

Die wahrscheinlich am häufigsten geänderte Regel der NSH ist die »Schuhe im Haus«-Regel. Mein Regelbruch ereignete sich zu einer Zeit, als das Tragen von Straßenschuhen im gesamten Haus verboten war. Es war kurz vor Weihnachten und die Tage an der NSH begannen morgens um acht Uhr im Dunkeln und endeten nachmittags um fünf Uhr ebenfalls wieder im Dunkeln.

Mein Tag war voller Termine gewesen und ich war spät dran. Die letzten Schüler hatten das Gebäude bereits verlassen und waren schon auf dem Weg in Richtung Bus, während ich mich noch beeilte, meine dicken Winterklamotten anzuziehen. Als ich zu guter Letzt meine Schuhe anhatte und die Schule eben verlassen wollte, fiel mir ein, dass ich mich noch nicht an unserem Fingerprinter abgemeldet hatte. Ein schneller Blick auf die Uhr und dann auf meine Schuhe und die Entscheidung war getroffen. Niemand war mehr da und wo kein Kläger, da kein Richter. Außerdem waren meine Schuhe nicht sehr schmutzig und hatten kaum Profil. Niemand würde es merken. Ich flitze also mit Schuhen an den Füßen die zehn Stufen hoch zum Fingerprinter und meldete mich ab. Gerade in dem Moment, als die monotone Stimme des Gerätes »Danke« sagte, öffnete sich die Eingangstür und Charlotte (12) informierte mich: »Sarah, das gibt ein LK. Du hast ja schließlich Schuhe an.« Ich nickte – was sollte ich auch entgegnen? Alle Überlegungen, die letztendlich zu meiner Entscheidung geführt hatten, konnte ich ja in der nun folgenden LK-Sitzung in epischer Breite ausführen.

Regelverstöße können bewusst oder unbewusst geschehen, was für den Tatbestand aber erst mal keine Rolle spielt. Ein Regelbruch bleibt ein Regelbruch, auch wenn er aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit geschieht. Ich hatte die Schuhregel wissentlich und in voller Bereitschaft, die Konsequenz für mein Handeln zu tragen, missachtet. Seit meinem Vergehen hat sich mein Blick auf die nachmittäglichen Abmeldeprozesse im Eingangsbereich auch noch mal verändert. Ich hatte jeden Tag mehrfach Schülerinnen und Schüler auf Knien zum Anmeldeterminal rutschen sehen, wenn sie schon ihre Schuhe anhatten, sich aber noch abmelden mussten. Bereits im Bus sitzend war mir eine sinnvolle Konsequenz für meinen Fehltritt eingefallen, die ich Charlotte und dem Lösungskomitee während unserer Sitzung vorschlug. Ich würde einen Antrag an die Schulversammlung stellen, in dem die aktuelle Schuhregel um den Satz »Wenn man vergessen hat sich abzumelden, kann man kurz mit Schuhen zum Anmeldeterminal gehen« ergänzt werden würde. Alle waren einverstanden und ich schrieb daraufhin den Antrag, der in der Schulversammlung angenommen wurde.

Nicht eingehaltene Absprache

Meine erste Vorladung zum LK an der NSH hatte ich, als ich mich an eine gemeinsam mit acht Schülerinnen und Schülern getroffene Absprache nicht gehalten hatte. Es war wieder Prüfungsvorbereitungszeit und ich hatte mit den diesjährigen Prüfungskandidaten einen Grammatikkurs verabredet, der eine Dauer von zwei Wochen umfasste und jeden Tag von neun bis zehn Uhr stattfand. Bereits am zweiten Tag kam ich einige Minuten zu spät, da ich von einem neuen Schüler aufgehalten worden war, der noch schnell wissen wollte, wann sein nächstes Feedback-Gespräch stattfinden würde. Ich beantwortete seine Frage und zeigte ihm daraufhin geduldig, wo er die Information auch als Aushang finden konnte. Dann hetzte ich in den Roten Salon, wo die Schülerinnen und Schüler bereits vollzählig warteten.

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